Welche Anwendungsmöglichkeiten gibt es bereits? Wo birgt die Technologie noch Defizite? Was bedeuten technologische Entwicklungen für den Job des Recruiters? - Diesen Fragen widmen wir uns im folgenden Beitrag.
Wo werden Technologien im Rekrutierungsverfahren bereits eingesetzt?
Aktuell kommen KI- und BigData-Anwendungen bereits auf vielen Stufen des Rekrutierungsprozesses zum Einsatz.
Unternehmen setzen Technologien ein, um rechtzeitig vorherzusagen, wann in welchen Unternehmensbereichen neue Stellen besetzt und entsprechende Rekrutierungsmaßnahmen eingeleitet werden müssen. Das Identifizieren von Datenmustern in Vergangenheitsdaten und der Einsatz der Muster für die Vorhersage künftiger Ereignisse stehen hierbei im Vordergrund. Aktuelle HCM-Systeme bieten beispielsweise die sogenannte „Kündigeranalyse“, in deren Rahmen Aussagen zum Kündigungsrisiko bestimmter Mitarbeitergruppen und entsprechende Gegenmaßnahmen durch den Arbeitgeber ermöglicht werden.
HR-Analytics wird im Personalmarketing eingesetzt, um die Zielgruppe besser kennenzulernen und erfolgreichere Matching-Methoden zu entwickeln. Targeting bietet die Möglichkeit, Stellenangebote oder Image-Anzeigen gezielter über Social Networks wie Facebook und LinkedIn oder über thematisch relevante Webseiten und Apps zu platzieren. Im Ergebnis nimmt die Effizienz der Personalmarketingmaßnahmen zu.
Unternehmen haben damit begonnen, Chatbots einzusetzen, um interessierten Kandidaten umgehend Informationen zu freien Vakanzen zur Verfügung zu stellen. Drängende Fragen der Kandidaten werden so jederzeit beantwortet, der Bewerbungsprozess kann zeitnah gestartet werden. Ziel ist es, die Candidate Experience insgesamt zu optimieren.
Die Identifizierung und Ansprache von Kandidaten wird durch die große Anzahl online verfügbarer Daten erleichtert. Jobbezogene Social Media-Plattformen wie Xing und LinkedIn bieten auf Basis großer Datenmengen immer differenziertere Such- und Kontaktmöglichkeiten an. Aussagen zum Nutzungsverhalten, zur Antwortwahrscheinlichkeit oder zur Wechselwilligkeit von Kandidaten gehören inzwischen zum Standardrepertoire. Auch vollautomatische Sourcing-Tools, bei denen der Recruiter nur die gewünschten Skills in das System eingibt und online verfügbare Daten nach passenden Kandidaten durchsucht werden, sind bereits im Einsatz.
Insbesondere bei einem hohen Bewerberaufkommen nutzen Arbeitgeber Softwarelösungen, um Bewerber vorzuqualifizieren. Hierbei werden die Bewerbungen in die Datenbank eingelesen und automatisiert mit den für die Position erforderlichen Skills abgeglichen. Zum Einsatz kommt außerdem bereits Sprachsoftware, die Video- oder Telefoninterviews mit Bewerbern aufzeichnet und eine psychologische Bewertung, z.B. anhand der Tonlage, vornimmt.
Erste Softwarelösungen versprechen eine Auswertung der im Web bzw. in Social Media verfügbaren Kandidateninformationen per Algorithmus. Im Ergebnis steht ein Persönlichkeitsprofil des Bewerbers. Scoring-Dienste übersetzen auf mathematisch-statistischer Basis qualitative Bewerbereigenschaften in quantitative Punktzahlen und dienen somit als Entscheidungshilfe für Personaler. Unter dem Begriff „Gamification“ werden online-spielerische Elemente in den Bewerbungsprozess integriert. Die aus den Spielergebnissen resultierenden Daten ergeben Aufschluss bezüglich des Skill-Sets und der Persönlichkeitsstruktur des Kandidaten
HR-Analytics hilft Unternehmen dabei, genauere Aussagen zur Entwicklung von Recruiting-KPIs zu treffen. Kennzahlen wie Time-to-Hire, Cost-per-Hire, Cost-per-Application, Cost-of-Vacancy, Source-of-Hire, Offer-Rate oder Offer-Acceptance-Rate lassen sich detaillierter und schneller auswerten. Recruitingmaßnahmen können passgenauer ausgerichtet werden.
Defizitäre Technologie
Die Hoffnung, mithilfe der Technologien Recruitingprozesse zu optimieren, ist somit durchaus berechtigt. Die Einsatzmöglichkeiten von KI und Big Data sind vielfältig. Stark sind die Systeme vor allem dann, wenn es um die schnelle Auswertung großer Datenmengen geht. Aktuell lassen sich jedoch auch noch Probleme ausmachen, die den Technologieeinsatz erschweren.
Die Anwendungen sind an vielen Stellen noch nicht voll ausgereift. Beispielsweise sind Chatbots noch schnell überfordert, wenn von der programmierten Norm abweichende Antworten gegeben werden. Echte künstliche Intelligenz, die in der Lage ist selbstständig neue Antwortmuster zu entwickeln, ist aktuell im Recruiting nicht vorhanden.
Die Tools zur Identifizierung und Ansprache von Kandidaten neigen noch zu stark zur Standardisierung. Defizite werden deutlich, wenn es um die Analyse vielfältiger Karriereverläufe und die individuelle Ansprache von Kandidaten geht. Auch personaldiagnostische Tools versprechen gegenwärtig noch zu viel – die aus Social Media-Daten gewonnenen Persönlichkeitsprofile können die persönliche Einschätzung des erfahrenen Personalers noch nicht ersetzen.
Fallstrick Datenschutz
Ein weiteres Hindernis stellt die mit der Europäischen Datenschutzgrundverordnung (EU-DSGVO) installierte rechtliche Grundlage dar. Bei den meisten der im Rahmen von HR genutzten Kandidateninformationen handelt es sich um personenbezogene Daten im Sinne der DSGVO. Die Verarbeitung dieser Daten ist nun noch stärker an Voraussetzungen, zB. die explizite Zustimmung der Kandidaten, gebunden.
Die Unternehmen müssen den Zweck und die Dauer der Datenverarbeitung klar gegenüber den Betroffenen kommunizieren. Auch der Ort, an dem die Daten letztlich gespeichert werden (EU oder außereuropäisch), spielt rechtlich eine Rolle. Unternehmen, die HR-Prozesse automatisieren möchten, sind daher gut beraten, sich vorab genaue rechtliche Informationen zu diesem Thema einzuholen.
Nur der Mensch ist menschlich genug
Gerade auf dem Markt für stark nachgefragte Fachkräfte ist die Akzeptanz der HR-Maßnahmen durch den Kandidaten ein wichtiges Kriterium. Top-Kandidaten wollen aktiv von den Unternehmen umworben werden. Wichtig ist der professionelle und persönliche Kontakt durch die Mitarbeiter des Unternehmens oder der beauftragten Dienstleister. Automatisierte Systeme wie Chatbots eignen sich für den Erstkontakt, transportieren aber darüber hinaus die Wertschätzung gegenüber den Kandidaten nicht ausreichend.
Die urmenschlichen Eigenschaften wie emotionale Intelligenz und Empathie, gepaart mit Lebenserfahrung sind vor allem für die konkrete Einstellungsentscheidung unabdingbar. Auch die persönliche Chemie zwischen den Mitarbeitern eines Teams muss stimmen. Hierbei können Big Data und KI nur wenige Hilfestellungen leisten.
Bringt der Einsatz von HR-Analytics ein objektiveres Auswahlverfahren?
Der menschliche Faktor kann sich jedoch auch negativ auswirken, beispielsweise wenn aufgrund unbewusster persönlicher Präferenzen einer Führungskraft Einstellungsentscheidungen getroffen werden.
Ein Vorteil der automatisierten Datenanalyse von Bewerbungen könnte eine objektivere Bewertung und somit weniger Diskriminierung im Auswahlverfahren sein. Menschen neigen unbewusst dazu, persönliche Sympathie und eigene Vorurteile in eine Bewertung einfließen zu lassen. Für die KI ist z. B. das Geschlecht oder die Namensherkunft nicht relevant. Soweit die Theorie.
Doch diese Hoffnung lässt einen Aspekt außer Acht: Jeder Algorithmus wird letztlich von menschlichen Programmierern formuliert. Wenn die Programmierung bereits diskriminierende Faktoren enthält, werden diese auch von dem Algorithmus weiter reproduziert.
Mensch und Maschine arbeiten komplementär
Abschließend lässt sich festhalten, dass KI und BigData bereits heute frischen Wind in den Recruitingprozess gebracht haben. Die Anwendbarkeit der Lösungen wird sich in Zukunft weiter verbessern. Neue Entwicklungen werden die verfügbaren Tools erweitern.
Die Befürchtung, dass die Arbeit des menschlichen Recruiters zukünftig obsolet wird, ist jedoch unbegründet. Einzelne Arbeitsschritte verändern sich zwar oder werden in Zukunft ganz automatisiert. Dies entlastet aber die HR und sichert den Recruitern mehr Kapazitäten für den persönlichen und individuellen Kandidatenkontakt.
Gleichzeitig ergeben sich neue Aufgabenfelder, in denen der Recruiter noch stärker komplementär mit den Technologien arbeiten wird. Wie in vielen anderen Bereichen gehört auch im Recruiting eine ausgeprägte IT-Affinität zukünftig zu den relevantesten Jobvoraussetzungen.